Tönnies verklagen

Bereits im April herrschte in den USA der Fleischnotstand. Große Schlachtbetriebe mussten aufgrund der Corona-Pandemie die Produktion einstellen. Auffallend viele Mitarbeiter der Fleischverarbeitenden Industrie waren positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden. Bereits Anfang Mai stand fest, dass die besonderen Umstände dieser Branche dazu führen, dass die Fleischereigroßbetriebe Zentren der Pandemie darstellen. Über 40 Fabriken mussten in den USA geschlossen werden, wie die Zeit berichtete.

Auch in Deutschland kam es in Fleischbetrieben, unter anderem Mitte Mai im Kreis Coesfeld im Münsterland, zu auffällig erhöhten Zahlen bei Neuinfektionen unter den Arbeitern. Der Leiter des Instituts für Virologie an der Berliner Charité Herr Prof. Dr. Christian Drosten empfahl am 19.05.2020 Schlachthöfe genauer zu untersuchen. Neben den schlechten Arbeits- und Wohnbedingungen der Mitarbeiter vermutete er, dass die „fast Kühlschrank-Temperaturen“ in den Betrieben einen zusätzlichen Faktor für die Verbreitung darstellen könnte.

Vorhersehbarkeit

Es war also eine Katastrophe mit Ansage als einen Monat später, also Mitte Juni, im Kreis Gütersloh der Fleischverarbeiter Tönnies zum größten Corona-Hotspot in Deutschland wurde.

Die Schlagzeile hieß „Outbreak in Ostwestfalen“ Über 1500  Menschen mit Bezug zu Tönnies waren positiv auf das Corona-Virus getestet wurden.  Am 23.06.2020 folgte der erneute „Lockdown“ in den Kreisen Güterloh und Warendorf beide in Nordrhein-Westfalen. Fast 650.000 Ostwestfalen waren in den Zustand von Ende März / Anfang April zurückgeworfen. Geschäfte wurden wieder geschlossen; das öffentliche Leben eingefroren. Im Urlaub in Norddeutschland befindliche Menschen aus den betroffenen Kreisen wurden zur Abreise gezwungen.

Ein gegen die verschärften Maßnahmen gerichteter Eilantrag scheiterte am 29.06.2020 noch vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Az.: 13 B 911/20.NE, kurz gesagt aufgrund der vor einer Woche herrschenden unübersichtlichen Lage. 

Eine Woche später am 06.07.2020 beendete das Oberverwaltungsgericht diesen Zustand. Per Eilbeschluss, Az.: 13 B 940/20.NE, wurde die für das Gebiet des Kreises Gütersloh geltende nordrhein-westfälische Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 in Regionen mit besonderem Infektionsgeschehen (Coronaregionalverordnung) vorläufig außer Vollzug gesetzt. Da die Verordnung planmäßig am Tag darauf auslief, war eine endgültige Entscheidung für diese Situation erfolgt. Bisher liegt die Entscheidung noch nicht im Volltext vor (Stand: 08.07.2020). Der Pressmitteilung des Gerichts ist zu entnehmen, dass es als unverhältnismäßig und nicht mehr mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar angesehen habe, dass das gesamte Gebiet des Kreises Gütersloh von der Coronaregionalverordnung erfasst sei, unabhängig vom lokalen Infektionsgeschehen. Zwar sei dies Anfangs noch anders gesehen worden, weil der Verordnungsgeber erst Aufklärungsmaßnahmen abwarten musste, um seine weiteren Entscheidungen auf belastbaren Grundlagen zu stützen. Mittlerweile habe sich allerdings anhand der durchgeführten Massentest gezeigt, dass es kreisangehörige Städte und Gemeinden gäbe, bei denen nur sehr wenige Neuinfektionen festgestellt wurden. Vor diesem Hintergrund sei es nicht (mehr) ersichtlich, dass sich die dortige Gefährdungslage signifikant von derjenigen in anderen außerhalb des Kreisgebietes gelegenen Städten und Gemeinden vergleichbarer Größenordnung unterscheide.

Schäden bleiben !

Auch wenn der Ausbruch, welcher von Tönnies seinen Ausgang nahm, nunmehr unter Kontrolle scheint, die durch den zweiwöchigen „Lockdown“, die bundesweite Stigmatisierung der Ostwestfalen als Krankheitsverbreiter und damit einhergehende Verlängerung der Coronaschutzverordnung in ganz Nordrhein-Westfalen um zwei Wochen verursachen Schäden bleiben.

Eine kostenintensive Maßnahme war die bisher bundesweit größte Massentestung (Stand: 40.000 bis zum 29.06.2020). Ein PCR-Test auf SARS-CoV-2 kostete 52,00 € bis zum 30.06.2020. Seit dem 01.07.2020 betragen die Laborkosten 39,40 €. Es geht folglich um Millionen Euro. Der Landrat Herr Adenauer sieht das Untenehmen Tönnies als Verursacher dieser Kosten an und will es zur Kasse bitten.

Hier betreten wir weitgehend juristisches Neuland.

Der Privatwirtschaft und den betroffenen Menschen sind weitere teilweise ganz individuelle Schäden entstanden. Gaststätten, Einzelhandelsgeschäfte und sonstige Dienstleister etc. konnten keine Umsätze erzielen. Gebuchte Urlaubsreisen mussten abgebrochen werden.

Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) sieht hierbei in § 56 Abs. 1 eine Entschädigung bei einem (individuellen) beruflichen Tätigkeitsverbot vor. Im Weiteren wird unter anderem die Entschädigung von berufstätigen Eltern wegen der Betreuung von schulpflichtigen Kindern zu Hause geregelt.

Kritisiert wird hinsichtlich der Regelungen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), dass die Frage der Entschädigung nur ungenau geklärt worden sei. Dies könnte einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Artikel 3 Grundgesetz (GG) darstellen. Es wird gerichtlich zu klären sein, ob in dem einen oder anderen Fall eine analoge Anwendung des § 56 IfSG in Betracht kommt, weil das Gesetz lückenhaft ist.

Eine weiterer Ansatzpunkt für einen Schadensausgleich und Schadensersatz könnte der Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG, der sog. Aufopferungsanspruch sein. Der vorgenannte Beschluss des Oberverwaltungsgericht NRW vom 06.07.2020 – Az.: 13 B 940/20.NE könnte darauf hindeuten, dass die letzten Tage des Shutdowns rechtswidrig waren.  

In diesem Zusammenhang vertreten wird daher auch die Ansicht, dass das berufliche Tätigkeitsverbot eine zu entschädigende Enteignung im Sinne des Artikels 14 Abs. 3 GG darstellt.

Andererseits wird eingewandt werden, der Bund, das Land Nordrhein-Westfalen und die Kreise hätten bereits Überbrückungshilfen und Darlehen in Milliardenhöhe zur Rettung der Wirtschaft ausgegeben.

Daher stellt sich nun die berechtigte Frage, ob das Unternehmen Tönnies selbst für Schäden nach § 823 BGB durch den Lockdown aufkommen muss.

Der Landrat des betroffenen Kreises hat keine Zweifel daran gelassen, dass er Tönnies für den Verursacher des Corona-Ausbruchs hält. Um einen Schadensersatz oder Schmerzensgeldanspruch herzuleiten, kommt es auf eine Pflichtverletzung und deren Ursächlichkeit für den eingetretenen Schaden an.

Wer eine Gefahrenlage erschafft oder notwenige Schutzvorkehrungen unterlässt und dies zu einem Schaden eines anderen führt, verletzt seine Verkehrssicherungspflicht. Demnach muss jeder diejenigen Schutzmaßnahmen unternehmen, die ein umsichtiger und verständiger Mensch in den Grenzen der Vernunft für notwendig und ausreichend erachtet. Eine Haftung für solche Schäden folgt aus dem Unterlassen des Gefährders, erforderliche Vorkehrungen nicht veranlasst zu haben.

Wie eingangs beschrieben, musste nach diesseitigem Dafürhalten ab Mitte Mai dem Schlachtbetrieb offensichtlich sein, dass von ihm eine besondere Gefahr ausgeht. Die Arbeitsbedingungen hätten den Erforderlichkeiten angepasst werden müssen. Die besonderen tätigkeitsbedingten Umstände und örtlichen Gegebenheiten in den Schlachthöfen scheinen für den Virus ideal zu sein. Der SARS-CoV-2 Virus führt bei kühlen und trockenen Bedingungen zu mehr Ansteckungen. In räumlicher Enge müssen schwere körperliche Arbeiten erbracht werden. Die schlechte Bezahlung hat zu einem Werkvertrags-/Ausbeutungssystem geführt, welche sich in den prekären Wohn- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter auswirken. Letztlich spricht auch die Betriebsgröße dafür, dass das Unternehmen für den Lockdown und dessen Folgen verantwortlich ist. Denn um die Grenze, welche für verschärfte Beschränkungen beschlossen wurde, von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner für über eine Woche zu überschreiten, reichte ein Corona-Ausbruch in einem Schlachthof.

Wer welchen Anspruch gegen wen erheben kann, ist eine Frage des Einzelfalls und bedarf einer individuellen juristischen Klärung. Hierfür bieten wir Ihnen bei Bedarf unsere Expertise an.

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